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Der König von Daun
Von Tanzkappelle bis Motorsport, Peter Schlömer hat überall die Finger drin. Der 52-jährige Versicherungsmakler ist die Attraktion der Eifel-Rallye, dabei hat der Dauner noch nie in seinem Leben eine richtige Rallye bestritten.
HENRY TOIVONEN kommt als Erster. Der Talbot Sunbeam hetzt knurrend um den langen Linksbogen. Zum Bremsen ist nicht viel Platz, es geht 50 Meter weiter hinter dem Straßenschild in einer Rechtslinks-Kombination in den Wald. Toivonen spart sich die Mühe, das Auto zum Bremsen gerade zu stellen. Das Heck des weißblauen Talbot hängt er ein bisschen nach außen, lässt kurz die Räder blockieren, lenkt nach rechts und zurrt kurz an der Handbremse. Der kurze Hintern des Sunbeam wechselt die Straßenseite und schwenkt nun in Richtung des hölzernen Bushaltestellenhäuschens. Der rechte Frontscheinwerfer glotzt derweil aus weniger als 20 Zentimetern den innen stehenden Eisenpfahl des Schildes an, doch schon reißt Toivonen die Zügel nach links. Abermals wechselt die Hinterachse die Straßenseite, das linke Vorderrad wühlt am Innenrand der Linkskurve im Dreck, die Schnauze des Talbot hat die Witterung aufgenommen, und wütende 215 Pferde jagen der Straße nach.
Das kann eben nur ein Superkönner, Finnlands größtes Talent seit einem Jahrzehnt. Anbremspunkt, Einlenken, Driftwinkel, Schwung - alles perfekt. Bis auf eine Kleinigkeit: Henri Toivonen ist angeblich schon seit 26 Jahren tot.
Als der Sunbeam Lotus ein Stündchen später auf dem Marktplatz von Daun parkt, steigt auch nicht der lange Finne mit der Beatle-Frisur aus dem Auto, sondern ein eher kurzer Typ mit gemütlichem Bäuchlein und fröhlichem Knautschgesicht. „Guten Tag, Peter Schlömer", spricht das Gesicht.
Die Mitglieder des Motorsportclubs nennen ihn den „Öwischten", was in der tiefsten Eifel „Der Obere" bedeutet. Mag ja sein, dass der Cheforganisator der Eifel-Rallye bisher Karl Fries heißt, doch der Mann im Hintergrund heißt Peter Schlömer. Der gelernte Versicherungskaufmann besorgt die Genehmigungen bei den Gemeinden und Grundstücksbesitzern, deren Hecken er anschließend mit seinen Zusatzscheinwerfern rasiert. Vater Heribert ist Streckenposten, Ehefrau Conny verkauft Programmhefte. Formal geht es hier um einen Lauf zur Deutschen Rallyemeisterschaft, inoffiziell ist es die „Peter Schlömer Show".
Schlömer liebt Tanzkapellen. Er spielt Querflöte, Saxophon, Akkordeon und Bassgitarre. Im Rallyeauto spielt er vor allerm die erste Geige. Wenn die Slowly-Sideways-Truppe von Rallyefotograf Reinhard Klein als Vorgruppe zu den DRM-Akteuren die Motoren anwirft, kommt Schlömer als Erster. Reinhard Klein nennt ihn den „König von Daun", weil er überall dabei ist, wo die Musik spielt. Die Fans tauften ihn den „Toivonen aus der Eifel."
Der 52-Jährige, der dermaßen spektakulär am Lenkrad kurbelt und die Ecken seines Sunbeam derart präzise im Blick hat, dass er als schlimmsten Unfall seiner Karriere einen abrasierten Zusatzscheinwerfer angibt, ist in seinem früheren Leben nie eine Rallye gefahren. Aber weil zwei Freunde aus dem Club anno dazumal bei der Rallye Monte Carlo antraten, ging Schlömer als Schrauber mit. Er selbst hatte
keine Zeit für ernsthaften Motorsport. Schlömer gründete eine Familie, zeugte zwei Kinder, baute ein Haus, im Urlaub ging man Skifahren. Eher zum Spaß saß er an den Wochenenden mal im Kart. Die reine Geschwindigkeit und das Diktat der Stoppuhr waren schon damals sekundär. „Wenn es in Strömen geregnet hat, habe ich die Slicks draufgemacht", sagt er.
Er kannte Henri Toivonen, den damals jüngsten Sieger eines Weltmeisterschafts-Laufes, nur aus dem Fernsehen. Dort schaute er sich auch den Fahrstil ab, versuchte das Gleiche im Kart und im Auto. „Drei Jahre habe ich gebraucht, dann hatte ich es drauf." Eine richtige Rallye auf Zeit ist er in seinem ganzen Leben nie gefahren. Sein Freund Martin Kiefer sagt: „Hätte er früher angefangen, wäre er einer der Besten in Deutschland geworden." Kiefer bereitet Schlömers Talbot vor. 2000 Stunden hat er in das Auto gesteckt.
Zum 40. Geburtstag hatte sich Schlömer den Talbot geschenkt, kein Original-Toivonen-Auto, aber mit vielen Originalteilen bestückt. Trockensumpfschmierung, die Salisbury-Achse aus dem Jaguar MK2, die das Talbot-Werksteam umgebaut unter den Sunbeam pfropfte, Übersetzung bis 170km/h. Nur den Lotus-Motor entschärfte man aus Zuverlässigkeitsgründen von 250 auf 215 PS. Ansonsten baute Kiefer das Auto exakt so hin, wie es der große Finne 1981 in Korsika bewegte. „Dem Martin kann man die Augen verbinden, der kann das Auto blind reparieren", sagt Schlömer. Etwas Netteres kann man über einen Mechaniker kaum
sagen. „Der Peter ist einer, der sein Wort hält. Auf den kann man sich verlassen", sagt Kiefer. Etwas Netteres kann man über einen Eifelaner nicht sagen.
Gefürchtet ist Schlömer nur wegen seines Perfektionsdrangs und seiner Ungeduld. Seine scheinbar grundlosen Besuche sind berüchtigt. „Das Schlimmste ist, wenn er sagt: Dat hat Zeit. Dann meint er eigentlich morgen", sagt Kiefer. „Der macht keine halben Sachen", meint Schlömers alter Spezi Peter Firmenich anerkennend.
Das gilt auch außerhalb des Cockpits. Nachdem Organisator Fries seine Eifel-Rallye aus der aktuellen deutschen Meisterschaft zurückzog, übernahm der König von Daun das Zepter. Aus dem bisherigen DRM-Lauf, in dem die 60 historischen Teilnehmer offiziell nur das Rahmenprogramm stellten, soll unter Schlömers Leitung eine historische Rallye ungekannten Ausmaßes werden.
Die Fans hoffen, dass der „Öwischte" trotz Organisationsaufgaben auch 2011 in seinem Sunbeam wieder alles gibt, tagsüber auf den Prüfungen, abends an der Theke. Nach 80 bis 100 Zügen an der Handbremse kann man ihn in Daun beim einarmigen Reißen im Goldenen Fässchen treffen. Dort steht er an der Theke und tut das, was ihm am liebsten ist: mit guten Freunden anstoßen. Henri Toivonen, Elvis und Colin Chapman sollen auch ab und zu da sein.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung
Text:Markus Stier, Bilder:Reinhard Klein